Honey & Bunny: Der Sklave im (Mais-)Feld - Falstaff (2024)

Honey & Bunny: Der Sklave im (Mais-)Feld - Falstaff (1)

© Honey & Bunny | Ulrike Köb | Daisuke Akita

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Die Weltkarriere des Maises als Nahrungsquelle verlief anfangs ausgesprochen schauderhaft. In Österreich verströmte er auch in den 1970er-Jahren noch Schrecken. Dennoch hat er sich den Menschen zum Untertan gemacht.

Sonja Stummerer, Martin Hablesreiter,

18.12.2023

Damals, während der 70er-Jahre, galt das Kukuruzfeld als Ort der Sehnsucht. Als Kinder zwischen den riesigen Stängeln und Blättern herumzulaufen und abzuhängen, war abenteuerlich und lustvoll, aber leider verboten. Naturgemäß hatten unsere Eltern Angst vor stets grantigen Bauern und deren ­monströsen Landmaschinen. Ja, es gab Zornesausbrüche und leider auch Unfälle. Vermutlich wussten unserer Erziehungsberechtigten auch, dass wir, gut verborgen zwischen den Kukuruzpflanzen, allerhand Verbotenes ausprobierten. Experimente mit verbotenen Substanzen und körperlicher Nähe fanden zweifellos statt.

Vermutlich kamen wir hin und wieder mit grünen oder verwirrten Gesichtern von unseren Kukuruzexpeditionen nach Hause. Doch selbst jene, die nicht rauchen, trinken oder schmusen wollten, wurden vor den Maisfeldern streng gewarnt. Diese Anbauflächen galten schon in den seligen 70ern als verseucht, giftig und demnach als gesundheitsschädlich.

Keinesfalls sollten wir Maiskolben fladern und im Feld verspeisen. Nicht wegen des Diebstahls, denn solche kleinen Kavaliersdelikte gehören in ­Österreich zur guten Erziehung, sondern wegen der Spritzmittel. Offenbar wurde bereits damals die großzügige Ausbringung von Pestiziden als Gefahr für Kinder erkannt. Schon das Berühren von Kukuruzpflanzen beim Fangen- und Versteckenspielen löste elterliche Ängste aus und führte geradewegs in die Dusche.

Zurück zum Essen: So verführerisch die knallgelben Kukuruzkörner für uns auch waren, es gab sie nie! Außerhalb jener Regionen, die Sterz, Riebel oder andere Polentavariationen als ­Grundnahrungsmittel verzehren, war Mais im ­deutschsprachigen Raum einfach nur Viehfutter. Manchmal tauchte er in italienischen Lokalen im Salat oder auf Pizzen auf. Erste gegrillte und gebutterte Maiskolben kauften wir als ­griechisches oder türkisches Streetfood. Mais als »­echtes« Essen tauchte erst mit ­mexikanischer Küche in Zentraleuropa auf. Das passt auch, denn Mexiko ist das ­Mutterland dieser Pflanze.

Mais entwickelte sich ­wahrscheinlich im Rio-Balsas-Becken im tropischen ­Zentralmexiko aus dem Wildgras ­Teosinte. Vor mindestens 3.000 Jahren kultivierten und verzehrten unsere prähistorischen ­Vorfahren die nahrhaften Körner. Christoph Kolumbus schrieb von der fundamentalen Bedeutung von Mais für die Alltagskost auf den karibischen Inseln, und er brachte die Nutzpflanze nach Europa. Dieser Import hatte weitreichende Folgen. Mais sollte zur wichtigsten Nahrungs­quelle der Welt werden, doch der Start dieser Weltkarriere verlief ausgesprochen ­schauderhaft.

Wie so oft führte westlich-koloniale ­Arroganz zu furchtbarem Leid in armen süd- und osteuropäischen Regionen. Die Entdecker und Zerstörer der amerikanischen Kulturen hatten zwar das (land-)wirtschaftliche Potenzial von Mais entdeckt, aber wegen ihres pathologischen und ausgesprochen dämlichen Überlegenheitsgefühls gegenüber indigenen Menschen deren Verarbeitungsverfahren von Mais ignoriert. Sie stuften die lokalen Bevölkerungen als primitiv ein und »übersahen« demnach, dass Maismehl in Amerika stundenlang mit alkalischen Stoffen wie Asche oder Kalk gekocht wurde.

Bei diesem als Nixtamalisierung bezeichneten, jahrtausendealten Verfahren wird eine im Mais enthaltende Vitamin-B-Variante namens Niacin erhalten. Macht man das nicht und verwendet Mais als Grundnahrungsmittel, tritt als Mangelerscheinung eine schmerzhafte und mitunter tödliche Krankheit auf, die Pellagra heißt. Sie sollte Hunderttausende Europäer leiden lassen.

Honey & Bunny: Der Sklave im (Mais-)Feld - Falstaff (2)

© Honey & Bunny / Ulrike Koeb / Daisuke Akita

Wegen der westlich-kolonialen Arroganz fügte der Mais Hunderttausenden Menschen unsagbares Leid zu. ­Nicht in der Ferne, sondern daheim in Europa.

Globale Siegerpflanze

Dem Mais selbst schadeten diese holprigen Schritte auf seinem Weg zur globalen Siegerpflanze nicht. Von Nordspanien aus verbreitete sich das Korn rasant im ganzen Mittelmeerraum und weit darüber hinaus. In vielen afrikanischen und amerikanischen Regionen ist es Hauptnahrungsmittel. US-Bestsellerautor Michael Pollan schrieb, dass sich nicht der Mensch die Erde untertan machte, sondern der Mais die Menschen zu seinen Gunsten versklavte.

Das gelbe Korn kann sich ohne menschliche Hilfe nicht vermehren und dennoch widmen wir uns mit viel Aufwand, Ressourcenverschwendung und (teils fragwürdiger) Kreativität der industrialisierten Großproduktion. Für Mais krümmen nicht nur Millionen Bauern ihre Rücken. Arbeiter bauen immer größer werdende Landmaschinen, die gewaltige Felder bis zur Unfruchtbarkeit verdichten. Techniker schicken Satelliten in den Orbit, um ebendiese Felder und deren Besitzer bestmöglich überwachen zu können. Nahrungsmitteltechniker extrahieren aus Mais Süßstoffe, um den bösen Zucker aus Softdrinks verbannen zu können. Veterinärmediziner sorgen mit Antibiotika dafür, dass Kühe Mais verdauen können, denn eigentlich vertragen die Rinder nur Grünzeug. Chemiker entwickeln neue Pestizide und Biologen basteln begeistert an wirtschaftlich nutzbaren Veränderungen der genetischen Struktur von Mais. Viele andere kreative Nutzer und Besitzer von Mais lassen ihn zu (angeblichem) Biogas vergären, erzeugen Biosprit oder designen Biokunststoff. Währenddessen gehen im globalen Süden Hunderttausende hungrige Menschen auf die Straße, um gegen die hohen Maispreise zu demonstrieren. Für Milliarden Menschen sind die gelben Körner immer noch ein überlebensnotwendiges Grundnahrungsmittel und kein Zeug zum industriellen Vergasen.

Mais mag uns Menschen unterworfen haben. Er mag ein Inbegriff der billigen Massenproduktion sein. Dennoch ist Mais, wie jedes andere Nahrungsmittel auch, etwas sehr Wertvolles. Er verdient Wertschätzung. Ihr Köche, ihr Gastronomen, ihr Gourmets, ihr Genießer– bitte verhelft dem Mais zur Renaissance. Der Kukuruz ist nämlich auch außerhalb des Feldes ziemlich gut!

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Für den Mais bauen Arbeiter immer größere Maschinen, die gewaltige Felder bis zur Unfruchtbarkeit verdichten. Andere vergären ihn zu (angeblichem) Biogas oder erzeugen Biosprit, während Hunderttausende verhungern.

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Honey & Bunny

Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter studierten Architektur. Während eines Arbeitsaufenthalts in Tokio begannen sie sich für Food-Design zu interessieren, seither gestalten und kuratieren sie Ausstellungen und Filme, realisieren »Eat-Art-Performances« und schreiben bzw. illustrieren Bücher.

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Erschienen in
Falstaff Nr. 09/2023

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